Bernhard Kaut bei Tauchkurs von Nik Linder: Die zweite Luft

Als die „zweite Luft“ bezeichnet man im Sport das Phänomen, wenn nach völliger Erschöpfung plötzlich Leistungsfähigkeit und Euphorie zurückkehren. Im Apnoekurs, den Bernhard Kaut bei Nik Linder besucht hat, bekam der Begriff der zweiten Luft eine andere Bedeutung.

Wie alles begonnen hat: Nik erfährt von Bernhards Geschichte

Als ich das erste Mal den PARI Blog gelesen habe, war nicht absehbar, dass ich selbst einmal dafür schreiben würde. Ich blieb vor allem an den Blog-Beiträgen rund um Bernhard Kaut hängen. Bernhard hatte eine wirklich schlimme Zeit hinter sich. Eine Lungenfibrose führte zu einer schubweisen Verschlechterung seiner Lungenleistung. Nur eine Lungentransplantation konnte sein Leben retten.

Laut den Blog-Beiträgen meisterte er diese schwere Zeit mit großem Optimismus. Dank seiner Disziplin und viel Training meisterte er selbst gefährliche Bergtouren wie den Großglockner. Das verursachte mir alleine beim Lesen feuchte Hände. Nie im Leben würde ich mich so etwas trauen. Die neue Lunge schien ihn nicht nur körperlich zu beflügeln, sondern er machte dabei auch auf das wichtige Thema Organspende aufmerksam.

Die Idee zum gemeinsamen Tauchkurs entsteht

Als ich dann selbst für den PARI Blog zu schreiben begann, fragte ich nach Bernhards Kontaktdaten. Ich dachte mir, dass ein Athlet wie Bernhard Kaut vielleicht einen Apnoeworkshop bei mir machen würde. Denn Bernhard fühlt sich nicht nur in den Bergen wohl, sondern nimmt auch an Wettbewerben wie die World Transplant Games teil, so etwas wie die olympischen Spiele für Menschen mit Spenderorgan. So könnte man vielen Menschen Mut machen, die zum Beispiel auf eine Spenderlunge warten und gleichzeitig auf das Thema Organspende aufmerksam machen.

Ich hatte vorher noch nie wissentlich mit jemandem zu tun, der eine Spenderlunge besitzt. Daher hatte ich recht wenig Ahnung, auf was man achten muss. Außerdem fehlt jemandem, für den das Atem anhalten mit einem entspannten und meditativen Tauchgang zu tun hat, sicherlich ein wenig Mitgefühl für jene, die schon einmal Atemnot empfunden haben. Die entspannte Atempause im Apnoetauchen ist etwas ganz anderes, als keine Luft mehr zu bekommen. In meiner Vorstellung konnte man mithilfe der Atemübungen und der vorangestellten Entspannungsübungen vielleicht sogar traumatische Erfahrungen überschreiben – und die unterbewusste Angst vor Dyspnoe verlieren.

Ich schlug also vor: „Lass uns doch auf halber Strecke zwischen Freiburg und Wien, vielleicht bei München treffen und in einem schönen Schwimmbad oder einer Therme einen Workshop machen“. Bernhard erklärte mir, dass er nach der Transplantation verschiedene Vorsichtsmaßnahmen zu Hygiene und Ernährung einhalten müsse. Darunter fielen auch Besuche von öffentlichen Schwimmbädern. Schnell fanden wir eine Lösung für dieses Problem. Da ich im Sommer ohnehin sehr häufig in Seen in Deutschland, der Schweiz und Österreich tauchen bin, vereinbarten wir Mitte Juni einen Tag am Attersee in Österreich.

Es geht los: Der Apnoekurs mit Bernhard und Nik beginnt

Auf der langen Fahrt dorthin gingen mir viele Gedanken durch den Kopf: Wie muss es sein, wenn eine Spenderlunge für einen Familienvater wie Bernhard die einzige Rettung darstellt (ich selbst habe ebenfalls zwei Kinder) – man aber nie weiß, wann und ob es überhaupt zu einer Transplantation kommt? Und wenn die Lunge transplantiert ist, gibt es auch keine Sicherheit, dass der eigene Körper diese Lunge nicht wieder abstößt. Wie fühlt man sich, wenn man eine Spenderlunge in seinem eigenen Körper hat? Empfindet man das als Fremdkörper? Könnte es sein, dass man mit dem neuen Organ fremdelt? Und würde ich diese Fragen überhaupt stellen können, ohne dass Bernhard mich für einen Idioten oder noch schlimmer für einen unsensiblen Idioten halten würde?

Bernhard kam mit einem Freund: „Das ist Wolfi und ich bin Berni“, erklärte er freundlich. Nach einem kurzen „Hallo“ stellte ich ihm gleich all die Fragen, die mir die letzten Stunden durch den Kopf gegangen waren. Bereitwillig und geduldig beantwortete Berni alles mit einem Grinsen auf den Lippen. Man merkte ihm keineswegs an, dass er noch vor nicht allzu langer Zeit todkrank gewesen ist. Fremdeln gegenüber der neuen Lunge, sagte er, hätte er nie empfunden, obwohl das wohl manchen so gehen würde. Nach der Operation musste aber immer wieder viel Schleim abgehustet werden. Da hätte er sich schon gefragt, ob das jetzt sein eigener wäre, sagte er belustigt.

Berni war ebenfalls Feuer und Flamme, miteinander abzutauchen. In Kürze stand für ihn die Besteigung des Gran Paradiso auf dem Plan, dem höchsten Berg Italiens mit 4.061 Metern. Vielleicht wären einige der Atemtechniken und mentalen Fähigkeiten auch für solche außergewöhnlichen Projekte hilfreich.

Vor dem Tauchen steht die Theorie

Zunächst erklärte ich den beiden, dass Apnoetauchen nicht bedeutet, dass man extrem tief tauchen müsse. Viele nutzen die Atemtechniken, um beim Schnorcheln auf eine Tiefe von fünf Metern abzutauchen und entspannt durch das Riff zu „fliegen“. Andere wollen an der Fähigkeit arbeiten, mithilfe von Atmung und Entspannung an Land und im Wasser, auf den Punkt entspannen zu können. Eine Fertigkeit, die ganz besonders gerne auf den Alltag übertragen wird. Dann ging es mit dem Tauchreflex weiter, der zu einer Tiefenentspannung führt, die den Puls senkt. So wird Sauerstoff eingespart, der für die Versorgung der lebenswichtigen Organe, vor allem des Gehirns, verwendet wird, so dass keine Gehirnzellen sterben.

Ein Atemreiz, erklärte ich, sei dabei kein Zeichen eines niedrigen Sauerstoffpegels im Körper, sondern ein Signal für viel CO2. Das entsteht bei unserer Atmung und wird normalerweise abgeatmet. Da der Apnoetaucher nicht atmet, sammelt sich viel CO2 an, das zu Atemreizen führt. Da heißt es, entspannt zu bleiben, obwohl das Zwerchfell pumpt und der Körper das Signal gibt: „Ich hätte gerne Luft“. Es ist wichtig, diese Information an die Teilnehmer eines Workshops weiterzugeben. Nur so können sie ruhig bleiben, wenn sie Veränderungen im Körper bemerken, die sie sich vorher nicht erklären konnten. Für Berni war es sicherlich noch ein bisschen wichtiger. Denn bei ihm bestand die Möglichkeit, dass die bereits erlebte Atemnot durch diesen Workshop wieder hochkommt.

Auf die Theorie folgen Atemübungen

Danach machten wir einige Atemübungen. Es ging mit der Aufladeübung los, um mit dem letzten Atemzug möglichst tief einatmen zu können. Im Alltag nutzen wir nur einen kleinen Teil unserer Lunge aktiv. Die Aufladeübung sorgt dafür, dass durch die Kombination aus vollständiger Einatmung und dem Dehnen der Zwischenrippenmuskulatur mehr Luft in die Lunge kommt. So kann man länger ohne Atem auskommen.

Apnoetaucher sind Meister darin, möglichst viel Lungenvolumen nutzbar zu machen, um so die Vitalkapazität zu vergrößern. Einerseits trainiert das die Atemmuskulatur, die gerade auch für Ausdauersportler wie Berni und Wolfi wichtig ist. Anderseits kann man mit der richtigen Art zu atmen zur Ruhe und in die Entspannung kommen.

Dazu gehört zum Beispiel die Wechselatmung. Hier wird wechselseitig durch ein Nasenloch eingeatmet und nach einer kurzen Atempause durch das andere Nasenloch ausgeatmet. Bei diesem für uns ungewohnten Rhythmus aus ‚Einatmung, Atempause, Ausatmung‘ fällt es schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als in diesem Moment bei sich und seiner Atmung zu sein. Es ist also eine Atemmeditation, die sehr schnell zu innerer Ruhe und Ausgeglichenheit führt. Ich habe mir angewöhnt diese Technik regelmäßig in meinen Alltag zu integrieren. Vor größeren Herausforderungen wie einem Wettkampftauchgang nutze ich diese Technik, um meine Gedanken zur Ruhe zu bringen.

Endlich geht es ab ins Wasser

Nach der theoretischen Einheit und den Atem- und Entspannungsübungen, ging es ins Wasser. Im flachen Uferbereich machten wir eine sogenannte Statik-Tabelle. Hierbei wird die Apnoephase mit jeder Runde verlängert:

  • 30 Sekunden Apnoe
  • 2 Minuten Atmen
  • 1 Minute Apnoe
  • 2 Minuten Atmen
  • 1:20 Minuten Apnoe
  • 2 Minuten Atmen
  • 1:40 Minuten Apnoe

Während der Apnoephase ist es wichtig, bewegungslos zu bleiben. Die Atemzeit besteht aus 1:30 Minuten Bauchatmung, die letzten 30 Sekunden sind Vollatemzüge. Der finale Atemzug ist ein besonders tiefer Vollatemzug.

Diese Tabelle setzt den Tauchreflex in Gang. Gleichzeitig erweitert sie unsere Komfortzone. „Beim Apnoetauchen geht es nicht darum, die Komfortzone zu verlassen. Wir wollen sie langsam erweitern“, erklärte ich. Wichtig beim Zeittauchen (Statisches Apnoe) ist es, sich möglichst nicht zu bewegen. Denn jede Bewegung verbraucht Energie und damit Sauerstoff.

Man kann sich vorstellen, dass in dieser Bewegungslosigkeit und mangels Ablenkung viele automatische und oftmals negative Gedanken auftauchen. „Was machst Du hier? Das ist gefährlich. Lass es lieber sein“, und vieles mehr. Techniken wie der Bodyscan oder der positive Selftalk sind hierbei hilfreich. Für Berni bedeutete diese Situation, dass unangenehme Momente aus der Zeit seiner Krankheit auftauchten, die er mithilfe dieser mentalen Techniken überwinden musste.

Ein Tauchgang zum Abschluss

Nach der Statik-Tabelle hatte er am Ende eine extrem starke Apnoezeit von 1:40 Minuten erreicht. Unglaublich, was er währenddessen alles verarbeiten musste. Am Ende wollten wir noch eine Runde am Ufer entlang schnorcheln und bei wunderbarer Sicht, die Barsche und Hechte beobachten. Sehr schnell stellte Berni fest, dass ihn der Schnorchel dabei störte. Wahrscheinlich erinnerte er ihn an die Intubation während des Tiefschlafs. So tauchten wir noch eine Runde ohne Schnorchel und genossen das frische, klare Wasser des Attersees. Ich war am Ende froh, dass alles so gut geklappt und Berni Spaß gemacht hat.

Bernhards zweite Luft

Beim gemeinsamen Abendessen im Anschluss redeten wir über das Thema Organspende, das Berni verständlicherweise sehr am Herzen liegt: „Stell Dir vor, wenn in jedem Land die Organspende geregelt wäre wie bei Euch in Deutschland – man also ausdrücklich erklären muss, dass man seine Organe spenden möchte – anstatt wie in Österreich, wo man aktiv dagegen widersprechen muss, dann würden bei den World Transplant Games nur die Hälfte der Athleten dabei sein können. Die andere Hälfte wäre tot“.

Auf dem Heimweg dachte ich noch oft an die Begegnung mit Berni zurück. Organspende ist für mich weit weg. Es scheint einen ja nicht zu betreffen, man ist ja gesund. Doch es kann auch schnell vorbei sein mit der Gesundheit. Dann ist man froh, wenn es ausreichend Organspender gibt.

Die Begegnung mit Berni war sehr inspirierend und verdeutlichte, dass es nicht die Weltrekorde und andere extreme Leistungen sind, die menschliche Stärke zeigen. Es ist vielmehr die Fähigkeit, mit Rückschlägen umgehen zu können und zu versuchen, aus einer herausfordernden Situation das Beste zu machen – so wie Bernhard es geschafft hat. Für ihn ist die Spenderlunge zur zweiten Luft geworden. Nach einem absoluten Tiefpunkt hat ihm die Transplantation eine zweite Chance geschenkt, die er mit beeindruckender Willenskraft und mentaler Stärke nutzt.


Über Nik Linder

Nik Linder hat mehrere Weltrekorde im Streckentauchen unter Eis und mehrere nationale Apnoe-Rekorde gebrochen. Als erster Mensch hat der begeisterte Seatrekker den Bodensee schwimmend und ohne Support umrundet. Nik ist als Atem- und Entspannungstrainer tätig und hat mit „Relaqua“ eine Entspannungsmethode erfunden, die ihre Wurzeln im Apnoetauchen, dem Atemyoga und der Achtsamkeit hat. Als Autor, Speaker und Apnoetrainer ist er vor allem im deutschsprachigen Raum aktiv, seine Reisen führen ihn aber in die ganze Welt.


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Hinweis: Bei den im Erfahrungsbericht getroffenen Aussagen handelt es sich um die individuelle Sichtweise der berichtenden Person. Diese spiegeln nicht zwangsläufig die PARI Sichtweise oder den allgemeinen Stand der Wissenschaft wider.


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Ein Beitrag der PARI-BLOG Redaktion.


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